Wie Ultraschallwellen manche Menschen krankmachen

Die meisten Menschen können ihn nicht hören. Deswegen glaubte man lange, dass Ultraschall ungefährlich ist. Ein Forscher warnt nun vor den hohen Tönen, die an fast jedem Ort in der Luft sind.

Lea Davis* hört auch da noch etwas, wo es für andere Menschen still ist. Und dort, wo die Welt für andere bloß laut ist, ist sie für Davis oft unerträglich. Die 39-Jährige nimmt das hohe Pfeifen von der Lautsprecheranlage am Bahnhof wahr und das Sirren des Mäuseschrecks im Nachbargarten. Die Geräte arbeiten mit Ultraschall. Ist es ruhig, kann Lea Davis ihn hören. Ist es sehr laut, kann sie ihn immer noch spüren.

Ihr Körper reagiert immer auf die Schallwellen. Ihr wird schwindelig und übel, sie fühlt sich abgeschlagen und bekommt Kopfschmerzen. Anders als Lea Davis können die meisten Menschen Ultraschall nicht hören, weil die Töne zu hoch sind. Und doch ist Ultraschall an vielen Orten in der Luft.

Ohne Ultraschall würde der moderne Alltag nicht funktionieren. Unzählige Geräte nutzen diese Wellen als Signale. Lautsprecher auf Bahnhöfen etwa senden konstant Ultraschall, auch zwischen den Durchsagen. An den Schallwellen misst man, ob eine Anlage intakt ist. Ultraschallsensoren sorgen auch dafür, dass sich automatische Türen öffnen.

Lange dachte man, das sei völlig ungefährlich, weil Menschen den Ultraschall nicht hören und er ihnen deswegen nicht schaden könne. Ein Forscher zweifelt das nun an und warnt vor den Tönen: Ultraschall könnte Migräne, Übelkeit oder Tinnitus verursachen, glaubt Timothy Leighton.

Die Wellen gibt es nahezu überall

Leighton ist Professor an der University of Southampton in England und erforscht seit Jahrzehnten Ultraschallwellen. Er gilt als einer der wichtigsten Experten auf dem Gebiet. In den letzten 35 Jahren erfand er Ultraschall-Sensoren, die Erdbebenopfer oder Minen aufspüren und einen Ultraschallreiniger.

In seiner jüngsten Publikation schreibt er, dass Ultraschall, der durch die Luft übertragen wird, gesundheitsschädigend sein kann. Leighton ist der erste hochrangige Wissenschaftler, der vor diesen möglichen Gefahren warnt. Seine Veröffentlichung löste eine Diskussion unter Experten aus.

Als Lea Davis mit ihren Kopfschmerzen zum Arzt ging, sagte der ihr, sie habe Migräne. Davis reichte das nicht. Sie suchte sich Hilfe bei Wissenschaftlern, die auf Ultraschall spezialisiert sind. So fand sie Timothy Leighton. Er hatte von ähnlichen Fällen gehört.

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Alle Betroffenen klagten über Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel oder Tinnitus. Beschwerden, für die Ärzte bei allen keine rechte Erklärung finden konnten. Die Patienten selbst glaubten, dass Ultraschallwellen in der Luft für die Beschwerden verantwortlich seien.

Leighton begann, die Ultraschallwellen an öffentlichen Plätzen zu messen. Gemeinsam mit Forscherkollegen, Studierenden sowie Schülern, die das Ziel der Untersuchung kannten, maß er an Bahnhöfen, in Schulen, Sportstadien, Schwimmbädern, Museen, Büchereien und im Inneren von Autos. Das Team fand überall Ultraschallwellen.

Die stärksten Wellen gingen von Lautsprecheranlagen aus, einige Freiwillige aus Leightons Team klagten in ihrer Nähe über Kopfschmerzen und Schwindel.

Kinder hören viel besser als Erwachsene

Lea Davis spürte den Schall zum ersten Mal als Teenager. Ihre Eltern hatten Tierschreckgeräte gekauft, die mithilfe von Ultraschalltönen Mäuse verjagen sollten. “Ich konnte sie kaum hören, aber wenn die Geräte an waren, wurde ich fahrig und unkonzentriert”, erinnert sie sich.

Ihre Eltern merkten, wie sehr die Geräte Lea durcheinanderbrachten, und schalteten sie aus, wenn sie in der Nähe war. Wenn sie es vergaßen, setzten Leas Symptome sofort ein. Sie konnte sich nicht auf ihre Hausaufgaben konzentrieren und fühlte sich abgeschlagen – bis die Geräte wieder aus waren.

Normalerweise hören Menschen auf Frequenzen zwischen 16 Hertz und 19.000 Hertz, am besten aber im Bereich zwischen 2000 und 5000 Hertz. Auf diesen Tonhöhen finden zum Beispiel Gespräche statt. Ultraschalltöne liegen auf einer Frequenz von 16.000 Hertz oder höher und sollen für Menschen nicht wahrnehmbar sein. Oft sind sie es aber doch.

Wenn ein Kind mit gesundem Gehör geboren wird, kann es sogar bis zu 30.000 Hertz hören. Die Fähigkeit nimmt über die Lebensdauer ab, weil durch die Lärmbelastung im Alltag fortwährend Flimmerhärchen im Ohr zerstört werden.

Flimmerhärchen sind für die Übertragung der Schallwellen in Signale verantwortlich, die im Gehirn als Geräusch erkannt werden. Aber auch einige Erwachsene hören noch auf einer Frequenz von 20.000 Hertz. Töne in derart hohen Frequenzen sind für sie als Fiepen wahrnehmbar.

Sechs alte Studien, auf die sich alle beziehen

Audiologen stellten fest, dass Lea Davis Geräusche auf einer Frequenz von 20.000 Hertz noch deutlich wahrnehmen kann. Sie selbst vermutet, dass sie noch höhere Töne hört. Nimmt Davis unterwegs ein Fiepen wahr, misst sie mit einer Smartphone-App die Ultraschall-Frequenz. So fand sie heraus, dass sie vermutlich sogar Töne bis 22 Kilohertz hören kann. Doch nicht nur sie selbst, sondern auch ihre drei Kinder leiden unter Ultraschallwellen.

Die Kinder reagierten mit Ohrenschmerzen und Übelkeit, sagt Davis. “Ich tue mein Bestes, um die Töne zu meiden. Zu Hause habe ich versucht, alle Ultraschallquellen zu entfernen. Es gibt aber viele Orte, die wir nicht mehr besuchen, weil die Ultraschallwellen dort zu stark sind”, sagt Davis. Die Familie meidet zum Beispiel Einkaufszentren, in denen Töne besonders stark sind.

Der Forscher Timothy Leighton, an den sich Davis gewandt hatte, begann nach seinen Messungen mit einer Detektivarbeit. Er verglich Richtlinien aus der ganzen Welt, die Menschen vor Ultraschall schützen sollen. Angeblich basierten die Auflagen auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Leighton zählte nach: Alle Richtlinien zitierten die selben sechs Studien aus den 60er- und 70er-Jahren. Aber diese Studien waren nicht besonders umfangreich, eine von ihnen ist längst zurückgezogen worden. Die Richtlinien galten als “vorübergehend”, als sie in Kraft traten – und sind nie überarbeitet worden.

Es gibt also gar keine wissenschaftliche Basis, um zu beurteilen, ob und in welchem Maß Ultraschall für Menschen gefährlich ist. Leighton vermutet, dass die Wellen die Gesundheit sensibler Menschen beeinträchtigen können und dass die bisherigen Grenzwerte viel zu niedrig sind.

Höhere Frequenzen für Ultraschallgeräte

Viele Ärzte bezweifeln das weiterhin. Wie sollen Töne schaden, die für den Menschen nicht hörbar sind? Das fragt sich auch der Schweizer Hals-Nasen-Ohren-Arzt Andreas Schapowal: “Wir brauchen Flimmerhärchen, um zu hören. Können wir einen Ton nicht wahrnehmen, weil er zu hoch oder zu tief ist, haben wir in dem entsprechenden Bereich keine Haarzellen. Sie können also auch keinen Schaden nehmen und so einen Gehörverlust verursachen.”

Er fordert dennoch eine präzisere Definition für Ultraschall. Geräte, die mit Ultraschall arbeiten, sollten deutlich höhere Frequenzen nutzen als 20 Kilohertz, damit sie von Erwachsenen und Kindern sicher nicht gehört werden können.

Timothy Leighton hofft auf finanzielle Mittel, um seine Tests mit einer repräsentativen Studie zu untermauern. Auch um seine eigenen Ultraschall-Erfindungen sicherer zu machen, möchte er das Thema weiter erforschen. Bislang kann er nicht beweisen, dass Ultraschall tatsächlich die Ursache für Kopfschmerzen, Übelkeit und andere Symptome ist, wie sie Betroffene schildern.

“Ultraschall könnte Migräne, Übelkeit und Tinnitus verursachen.”
Timothy Leighton
University of Southampton
Sicher sei, dass die Symptome nicht von Ultraschall-Untersuchungen, etwa bei einer Schwangerschaft, ausgelöst werden können. Da leitet ein Gel den Schall, nicht die Luft. Außerdem liegen die Frequenzen wesentlich höher, sie sind auch für ungeborene Babys nicht hörbar. Das sei ausreichend untersucht.

Für die Zukunft hat Leighton einen Wunsch: Hersteller und Anwender von Ultraschallgeräten sollten für mögliche Gefahren sensibilisiert werden. Bislang sei kaum bekannt, dass der Schall belastend sein kann. Der Forscher möchte mithilfe der sozialen Netze mehr Daten sammeln. Jeder, der ein Smartphone hat, kann mit einer kostenlosen App Ultraschallwellen in der Luft messen.

Unter dem Hashtag #UltrasoundInAir sollen die Ergebnisse mit Zeit- und Ortsangabe auf der Plattform Instagram gesammelt werden. Die Ergebnisse können dann von dem Forscherteam der University of Southampton genutzt werden. Und Betroffene wie Lea Davis können nachschauen, welche Orte besonders belastet sind – und sie künftig meiden.

Von Paula Leocadia Pleiss

Quelle: http://www.welt.de/wissenschaft/article153508780/Wie-Ultraschallwellen-manche-Menschen-krank-machen.html

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