Autoimmunerkrankungen – Wenn sich der Körper selbst bekämpft

Rheuma, Multiple Sklerose, Morbus Crohn und Diabetes Typ-1 haben eine Gemeinsamkeit: Sie zählen zu den Autoimmunkrankheiten. Das bedeutet, dass das Immunsystem den eigenen Körper angreift und schädigt.

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Bei einer Autoimmunerkrankung bekämpft sich der Körper irrtümlich selbst. Das körpereigene Gewebe wird vom Immunsystem irrtümlich als fremd angesehen und in der Folge wie ein Feind bekämpft.

„Man kann sich das vereinfacht so vorstellen: Das Immunsystem ist das Militär, die Landesverteidigung des Körpers, es erkennt und vernichtet Feinde von außen. Im Falle einer Autoimmunerkrankung liegt ein Erkennungsfehler vor. Das Immunsystem verwechselt Freund und Feind und schießt auf die eigenen Leute, weil es eigene Zellen für fremde Zellen hält“, veranschaulicht Prim. Univ.-Prof. Dr. Erich Pohanka, leitender Internist im AKh Linz.

Ganzer Körper kann betroffen sein

Autoimmunerkrankungen können jedes Organsystem im Körper betreffen und daher auch völlig verschiedene Krankheitsbilder auslösen. Zirka hundert verschiedene Erkrankungen werden heute zu dieser Gruppe gezählt. Beispiele: Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Diabetes Typ 1, Hashimoto-Thyreoiditis (Schilddrüsenerkrankung), Morbus Bechterew, Rheumatoide Arthritis, Zöliakie, Psoriasis, kreisrunder Haarausfall.

Autoimmunerkrankungen betreffen nicht ein bestimmtes medizinisches Fachgebiet, daher gibt es auch keine medizinische Fachrichtung, die sich mit diesem Krankheitsvorgang beschäftigt. Je nach betroffenem Organsystem ist der jeweilige Facharzt zuständig.
Individuelle Fehlentwicklung

Die Aufgabe des Immunsystems und ihrer Abwehrzellen ist es, von außen eindringende Viren und Bakterien abzuwehren. Zur Erkrankung kommt es, wenn das Immunsystem fehlerhaft agiert. „Eine Autoimmunerrankung bedeutet keinen generellen Fehler im System Mensch, sondern ist immer Ausdruck einer individuellen Fehlentwicklung im Körper“, sagt Pohanka.

Während der Körper versucht, die durch die fehlgeleitete Abwehr angerichteten Schäden zu reparieren, werden gleichzeitig neue Autoantikörper gegen den eigenen Körper gebildet. Diese können weiterhin eigene Organe oder Gewebe angreifen und zu schwerwiegenden Krankheitssymptomen führen. Die Bandbreite der Symptome ist breit gefächert. Es können einfache Entzündungen auftreten aber auch ganze Organe zerstört werden.

Mögliche Ursachen

Eine konkrete Ursache für Autoimmunerkrankungen konnte bislang noch nicht gesichert identifiziert werden. Sehr wahrscheinlich spielt die genetische Veranlagung eine Rolle. Zur genetischen Veranlagung muss noch ein aktueller Auslöser hinzukommen, damit die Erkrankung ausbricht. Vermutet wird, dass bestimmte Vireninfektionen solche Auslöser sind, wissenschaftlich gesichert ist das aber noch nicht.

Ob und inwieweit der Lebensstil ein möglicher Auslöser ist, ist noch nicht ausreichend erforscht. Es ist erwiesen, dass Ernährung, Stress und Rauchen zumindest für den Verlauf bestimmter Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielen. Dass sie diese auch auslösen können, wird vermutet, ist wissenschaftlich aber noch nicht erwiesen. „Als wahrscheinlich gilt, dass meist mehrere Faktoren zusammenspielen, welche beim genetisch dazu veranlagten Menschen ganz individuell eine Autoimmunerkrankung auslösen“, so Pohanka.

Einen Hinweis auf die Ernährung als möglichen Auslöser, liefert die Tatsache, dass manche Erkrankungen erst in den letzten Jahrzehnten verbreitet auftreten. Beispiele: Die entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Zöliakie gab es vor hundert Jahren im Gegensatz zu heute nur selten. Ein anderes Beispiel: Multiple Sklerose war früher in Japan kaum verbreitet, tritt heute aber bei den jungen Generationen sehr häufig auf. Früher war die japanische Ernährung relativ fettarm, sie war geprägt von wenigen Kohlenhydraten und wenig Fleisch. Heute ernähren sich dagegen viele von fettem und kohlehydratreichem Fastfood.

Therapiemöglichkeiten

Wie man dem Immunsystem beibringen könnte, weniger Fehler zu machen, ist bisher unbekannt. Es existieren also keine Therapieformen, die das ursächliche Problem – die Fehleranfälligkeit beim Erkennen von „Feinden“ – reduzieren kann.

Die Behandlung erfolgt vielmehr dadurch, dass das Immunsystem unterdrückt und einzelne Mechanismen unterbunden werden. Dadurch wird allerdings auch die Abwehr gegen wirkliche Feinde (Viren, Bakterien etc.) geschwächt und die Anfälligkeit für Infekte erhöht. Das Immunsystem wehrt nicht nur von außen eindringende Viren und Bakterien ab, es hat auch die Aufgabe, die „Terroristen im eigenen Land“ zu bekämpfen und zu beseitigen, wie zum Beispiel wuchernde Krebszellen. „Schwäche ich das Immunsystem mit Immunsuppressiva, dann steigt bei manchen Substanzen und bei einigen Erkrankungen das Risiko, dass sich irgendwo im Körper ein Tumor bildet. Normalerweise räumt das Immunsystem auch mit Tumorzellen auf, durch die Drosselung des Immunsystems kann diese wichtige Funktion leider vermindert werden“, so Pohanka.

Medikamentöse Therapie

Immunsuppressiva: Ihr Einsatz ist bei fast allen Autoimmunerkrankungen die Standardtherapie. Diese Medikamente unterdrücken die Aggressivität des Immunsystems. Immer mehr und bessere Medikamente stehen zur Verfügung.

Kortison: Besitzt eine entzündungshemmende Wirkung und ist nach wie vor eine gute Therapiemöglichkeit. Probleme ergeben sich vor allem bei Langzeiteinnahme durch mögliche Nebenwirkungen (Risiko einer Zuckerkrankheit oder Abnahme der Knochendichte).

Biologika: Sie hemmen entzündungsfördernde Botenstoffe im Körper.

Plasmaaustausch (Plasmapherese): Ein gutes Verfahren, schädliche Antikörper zu entfernen, bietet der Austausch von Blutplasma. Das Plasma wird hierbei je nach Erkrankung entweder gegen eine Proteinlösung oder gegen das Plasma gesunder Spender ausgetauscht. Das Verfahren dauert zwei bis drei Stunden und wird meist gut vertragen. In einem zweiten Schritt muss dann mittels Immunsupressiva eine Neubildung von Antikörpern verhindert werden. Diese Prozedur wird zum Beispiel bei bestimmten neurologischen Erkrankungen eingesetzt.

Remmission möglich

Eine Heilung von Autoimmunerkrankungen im Sinne von Ursachenbeseitigung ist derzeit noch nicht möglich, weil über die möglichen Ursachen noch zu wenig gewiss ist. Neue und bessere Medikamente beeinflussen jedoch den Krankheitsverlauf oft günstig. Da Autoimmunerkrankungen häufig in Schüben auftreten, lassen sich die Zeitspannen dazwischen oft deutlich vergrößern. Oft wird sogar eine Remission festgestellt. „Das bedeutet, dass die Ursache zwar nicht beseitigt ist, dass man aber beschwerdefrei und im Moment gesund ist. Eine Remission schließt aber nicht aus, dass nach mehreren Jahren wieder ein Schub eintritt, der dann wieder medikamentös zu behandeln ist“, so Pohanka.

Dr. Thomas Hartl

Februar 2016

Quelle: nachrichten.at

Foto: shutterstock

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